Geschichtliches

Fundstück: Görlitz Christuskirchengemeinde

Abschrift: Oberlausitzer Gemeinde-ABC. (Artikelreihe in "Die Kirche", 1950 bis 1952)

Die Christuskirchgemeinde in Görlitz.

Die Gemeinde erhielt ihren Namen bei der Einweihung der Christuskirche  (erbaut von Kirchenbaumeister Prof. D. Otto Bartning) am 17. Juni 1938; bis dahin hatte die Kirchengemeinde den Namen Rauschwalde. Von dem Werden und Wachsen der Kirchengemeinde bis zum Jahre 1938 haben die Evangelisten unserer Gegend alles Wesentliche den ausführlichen Veröffentlichungen des früheren Ältesten Paul Anders im „Ev. Kirchenblatt für Görlitz“ entnommen, wie auch der Kunstschrift „Die Christuskirche Görlitz – Rauschwalde“ (Aufsätze von Prof. D. Otto Bartning, Museumsdirektor Dr. Heinrich Asche und Pfarrer Kurt Graetz). So können wir uns hier auf stichwortartige Auszüge und – für die Zeit nach 1938 – auf Ergänzungen beschränken.

Noch vor einem Menschenalter zählte die Gemeinde kaum 1000 Seelen und gehörte bis 1915  zum Kirchspiel Kunnerwitz. Ein plötzlicher Zuwachs trat 1910 durch die Eröffnung des nahe gelegenen Güterbahnhofs ein, der mit seinen Eisenbahner-Familien etwa 1500 Seelen in die Gemeinde brachte. Im Herbst 1913 wurde eine Friedhofskapelle, für deren Bau sich vor allem der damalige Rektor Neumann eingesetzt hatte, auf dem neu angelegten Friedhof errichtet, diese Kapelle benutzte die Gemeinde zugleich für ihre Gottesdienste. Unter Rektor Neumann war auch die Ev. Schule in jenem Jahre gebaut worden. Der erste Pastor der Gemeinde, Pastor Friedrich Bernewitz aus Mitau, übernahm im Herbst 1919 das Pfarramt und hat sich ein bleibendes Verdienst um die Gemeinde u.a. durch den Erwerb des Pfarrhauses erworben. Inzwischen wuchs die Seelenzahl immer mehr an, besonders nachdem Rauschwalde 1925 nach Görlitz eingemeindet war. Das von „Ev. Pfarrerverein“ im Jahre 1927 herausgegebenes „Historisch-, statistische Handbuch über das evangelische Schlesien“ gibt bereits eine Seelenzahl von 2900 Evangelisten (bei nur 250 Katholiken) an. Mit Hilfe des 1927 eröffneten katholischen Karolus-Krankenhauses ist die Zahl der Katholiken dann nach dem Krieg schnell derartig gestiegen, daß hier neben dem großen katholischen Krankenhaus ein volles katholisches Pfarramt St. Hedwig begründet worden ist. Das Karoluskrankenhaus selbst ist zum Sitz des Ordensrates und Konventes der Schlesischen Borromäerinnen geworden, die aus Trebnitz hierher gekommen sind. Nachdem Pastor Bernewitz 1931 in den Ruhestand getreten war (und bald darauf starb), übernahm Anfang 1932 Pastor Kurt Graetz das Pfarramt. Generalsuperintendent D. Schian hatte diese Wahl wegen der in der früheren Gemeinde Schlesiersee gesammelten Bauerfahrung des Gewählten besonders zugestimmt im Blick auf den für die Gemeinde notwendig gewordenen Kirchenbau. Zunächst aber wurde die Kirchhofskapelle durch einen Turmvorbau erweitert – zugleich eine Probe der Opferfreudigkeit der Gemeinde für das große Projekt des Kirchenbaues. Über dem äußeren Aufbau der Kirchengemeinde ist das eigentliche Gemeindeleben nicht versäumt worden.

Die Jugendarbeit umfasste 10 selbstständige Gruppen, ebenso der Kindergottesdienst. Die Gruppen hatten ihre Wimpel mit den Namen bekannter evangelischer Christuszeugen. An unserem Jugendtreffen nahmen oft 500 Jugendliche aus der eigenen und den angrenzenden Gemeinden der Lutherkirche, Kreuzkirche, Kunnerwitz usw. teil. Ein besonderer Höhepunkt für unsere evangelische Jugend war das Görlitzer Jugendtreffen Cantate 1946, bei dem in unserer Christuskirche Bischof D. Dr. Dibelius den Gottesdienst hielt.

In treuem Dienst steht unsere Evangelische Frauenhilfe. 22 Helferinnen betreuen die Bezirke der Gemeinde. Zusammen mit der Grundsteinlegungsfeier unserer Kirche konnte die Frauenhilfe im Mai 1937 ihr 25 jähriges Jubiläum feiern. Ihre höchste Bewährung zeigte unsere Frauenhilfe in den Notjahren in und nach den beiden verlorenen Weltkriegen. Die Leitung der Frauenhilfe liegt in den Händen der Pfarrfrau. Auch in der Görlitzer Bahnhofsmission ist unsere Frauenhilfe aktiv vertreten. Abzweigungen der Frauenhilfe sind der Jungmütterkreis und der Feierabendkreis (Leitung: Frau Zeising). Unter der besonderen Obhut der Frauenhilfe stehen die Ev. Gemeindeschwesterstation und unser seit 1946 wiedereröffneter Ev. Kindergarten in seinem vorbildlichen Heim. Unsere Männer kommen regelmäßig an Männerabenden zusammen und werden mit durchschnittlich 70 Anwesenden als der regste Männerkreis von Görlitz bezeichnet (unter Leitung des Ältesten Trautmann seit 1947). Die hohe Zahl der Zuhörer wird durch den ständigen Wechsel der Vortragenden gefördert.

Mit aufopfernder Liebe wird unser Ev. Kirchhof betreut, der als Musterfriedhof gewertet wird. Friedhofsverwalter ist Ältester Mattern. Unser Kirchhof erhielt 1945 eine kleine Erweiterung von 4 Morgen Land nach Westen zu. Gedacht war ursprünglich an einen großen evangelischen Friedhof für die westlichen Kirchengemeinden unserer Stadt. Jedoch wurde das Projekt wegen des Krieges immer wieder hinausgeschoben, bis es dann zu spät war.

Auf unserem evangelischen Friedhofsgelände befinden sich auch viele Soldatengräber des letzten Krieges, in deren Mitte sich ein hohes Gefallendenkmal mit 3 eichenen Kreuzen erhebt. An jedem Totensonntag legt der Gemeindekirchenrat hier einen Kranz nieder, wobei der Kirchenchor Ewigkeitslieder singt.

Aus den Kriegsjahren wäre zu berichten, daß das Pfarramt die Lazarettseelsorge im Karoluskrankenhaus ausübte neben der Pfarrverwaltung der Kirchengemeinde Hennersdorf und der eigenen Gemeinde. Ein schwerwiegendes Ereignis für das Gemeindeleben war der Mai 1942 die Ablieferung von 3 Glocken; nur die kleine Glocke durften wir behalten. Nach dem Zusammenbruch hat die Gemeinde zu dieser Glocke sogleich wieder eine große Glocke hinzuerworben. Auch die Kirchhofskapelle erhielt zum Erntedankfest 1950 eine schöne Glocke.
Daß die Gemeinde einen Kirchenchor hat, der unter langjähriger Leitung seines Dirigenten, Kantor Stephan, jederzeit zum Dienst im Gotteshause und bei Gemeindeveranstaltungen bereit ist, sei mit Dank hervorgehoben. Besondere Erwähnung verdient aber auch die – man könnte fast sagen: “aus der Erde gestampfte“ oder besser „vom Himmel geschenkte“ katechetische Arbeit an der Schuljugend, die unter Leitung ihres Obmannes, Lehrer Rodehau, steht und von so manchen treuen evangelischen Kräften ausgeübt wird.

Nicht unerwähnt sei hierbei auch die schwierige finanzielle Aufgabe, die aber Dank dem Verständnis und dem Opfersinn der Gemeinde doch gelöst wird.

Von unserer kirchlichen Jugend sei noch zu berichten, daß sie den Namen „Junge Gemeinde“ angenommen hat und jeden Dienstag und Freitag zusammenkommt. Auch Sonntag-Nachmittag steht unser Heim der Jugend offen, sodaß sie nicht auf der Straße zu bleiben braucht (eine wichtige Frage, besonders auch bei den beengten Wohnverhältnissen der Familien). Das neue Heim konnten wir uns 1950/51 schaffen durch Anbau an das Pfarrhaus und unter behördlichen und anderen Beihilfen, die wir durch die Innere Mission und das Hilfswerk erhielten. Eine segensreiche volksmissionarische Aufgabe im Sinne der Erfahrungen der Zeltmission hat sich unsere „Junge Gemeinde“ in der Veranstaltung regelmäßiger großer Gemeindeabende in einem der größten hiesigen Säle gestellt. Dabei werden Verkündigungsspiele und ähnliche christliche Laienspiele der Gemeinde dargeboten, ferner Lichtbildvorträge aus dem Gebiet der christlichen Kunst oder auch musikalische Darbietung unter Mitwirkung des Kirchenchors, des Jugendchors oder des Görlitzer Posaunenchors. Zum Einüben der Laienspiele steht unserer Jugend im Pfarrhaussaal eine Jugendbühne zur Verfügung. Daß schon manche Angehörige unserer „Jungen Gemeinde“ sich den diakonischen Dienst zu ihrem Lebensberuf erwählt haben, erfüllt uns mit großem Dank.
Für die Zukunft unserer Gemeindearbeit ist in Aussicht genommen, den einsamen Alten in kommenden Jahren ein freundliches Altenheim zu bereiten.

Wir kommen zum Schluß. Nicht alles kann in einem solchen Überblick berichtet werden; viele treue Kräfte und Helfer mussten ungenannt bleiben, ohne daß deswegen ihr Dienst weniger wichtig sei. Aber schon aus manchen Stellen unseres Berichtes dürfte ersichtlich sein, daß die aktive „Laienkirche“ sich auch bei uns in aller Stille bildet.
Von unserem Kirchenbau haben wir fast gar nicht gesprochen; wir wiesen am Anfang auf die entsprechenden Veröffentlichungen hin. Aber wer sie nicht kennt, wird sich denken können, welch ein seltenes erhebendes Glück für die Kirchengemeinde bedeutet, wenn sie – dazu in notvoller Zeit! – ein evangelisches vorbildliches Gotteshaus erbauen darf – doppelt schön, wenn man daran denkt, daß noch 1935 nicht eine einzige Mark für den Kirchenbau vorhanden war, und daß dann wenige Jahre darauf doch die Kirche ohne Sorgen und Unfall errichtet war.
So wurde dann auch die Kircheinweihung von der nun über 4000 Seelen zählenden Gemeinde in festlichster Weise begangen. In das Gästebuch des Pfarrhauses trugen sich als Ehrengäste ein Bischof D. Zänker, Konsistorialpräsident D. Hosemann, Prof. D. Bartning und Gattin, Oberkonsistorialrat Dr. Hünemörder und Gattin, Superintendent Bornkamm und Gattin, Baron v. Bistram, Stadtrat Fehler (späterer Oberbürgermeister von Görlitz) Stadtkämmerer Viebeg, Pastor Hermann Schmidt und Gattin, Frau Pastor Bernewitz, Dr. Falk und viele andere. Wer von der Christuskirche selbst noch Näheres erfahren will, der lasse am besten sie selber in ihrer lichten Schönheit zu sich sprechen beim Besuch eines Gottesdienstes oder bei einer der Führungen (Näheres siehe „Ev. Kirchenblatt für Görlitz“, Schriftleitung Pfarrer Graetz). 
Wir schließen unseren Bericht mit einem Lutherwort, das uns Bischof D. Zänker bei den Einweihungsfeierlichkeiten der Christuskirche in das Gedächtnis schrieb: „Gottes Wort und der Christen Gebot erhält die Kirche“.

Graetz.